LIMINA 8:2 (Herbst 2025)

Call for Papers - Frieden in Zeiten politischer und moralischer Verunsicherung

Seit der russischen Invasion der Ukraine 2022 und dem darauffolgenden Krieg lässt sich eine verstärkte multidisziplinäre Auseinandersetzung mit der Thematik des Friedens, des Pazifismus oder der Friedenssicherung beobachten. Diese wurden durch den militärischen Konflikt zwischen Israel und der Hamas seit dem Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 noch einmal intensiviert. Gerade in traditionell pazifistischen Kreisen wie linken politischen Parteien oder auch in theologischen Debatten ließ sich hier eine gewisse Diskursverschiebung feststellen: Im Zuge der beiden oben genannten Konflikte wurde die zuletzt stark pazifistische Ausrichtung bisweilen aufgegeben zugunsten einer intensiveren Diskussion über berechtigte militärische Selbstverteidigung, die möglicherweise auch militärische Angriffe umfassen kann: Beispiele dafür sind die Offensiven der israelischen Armee auf Gaza wie auch der Angriff der ukrainischen Armee auf den russischen Verwaltungsbezirk Kursk. Fragen nach dem „gerechten Krieg“ werden ebenso neu aufgeworfen wie Fragen nach dem Verständnis von Frieden und den Möglichkeiten und Grenzen von Friedenssicherung. Im Zuge geopolitischer Verschiebungen und in der Debatte dazu drücken sich vielerlei politische und moralische Verunsicherungen aus, die fundamentale Fragen aufwerfen.

In vielen gegenwärtigen Konflikten sind Religionen und Konfessionen involviert. Neben der von ihnen selbst meist hervorgehobenen Rolle als Friedensstifterinnen können sie auch ein antreibender Faktor im kriegerischen Geschehen und für dessen Rechtfertigung sein. Dabei stellt sich oftmals die Frage, ob, inwieweit und auf welche Weise eine Gewalt legitimierende Rolle von Religion als Missbrauch derselben gelten kann oder aus spezifischen religiösen Eigenheiten selbst hervorgeht. Gleichzeitig können (theologische) Bewertungen von Konflikten und Friedensprozessen innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft nicht unabhängig von religiös-theologischen Identifikationen geschehen, etwa der historischen und religiösen Schicksalsgemeinschaft des Christentums mit dem Judentum, aber zugleich auch der wechselhaften Geschichte dieser beiden Traditionen mit dem Islam.

Im Zuge der gegenwärtigen ökologischen, politischen, militärischen, sozialen wie auch technischen Entwicklungen besteht die Herausforderung, Frieden stets neu zu denken und Friedenskonzepte zu entwerfen, die einerseits an traditionelle religiöse oder politische Vorstellungen von Frieden angebunden sind, andererseits aber auch diesen neuen Verschiebungen Rechnung tragen. Diese Prozesse stehen zugleich in einem Spannungsverhältnis zwischen einerseits idealistischen Friedenskonzepten wie einem positiven Frieden oder dem liberalen Frieden und andererseits den tatsächlichen Möglichkeiten und Grenzen konkreter und realistischer Friedenspraxis.

Die Wirkmächtigkeit und die geradezu „heilsgeschichtliche“ Bedeutung des Friedensbegriffs machen ihn gleichzeitig auch anfällig für Missbrauch und Manipulation. So kann „Frieden“ oder „Friedenssicherung“ auch zur Legitimierung von militärischen Operationen oder politischen wie auch religiösen Herrschaftsverhältnissen dienen. Daher ist auch eine kritische Perspektive auf den Friedensbegriff notwendig, der hinterfragt, wo und wie heute öffentlich von Frieden gesprochen wird und welche hintergründigen (Macht-)Dynamiken am Werk sind.

Frieden in seinen individuellen, geistigen, aber auch sozialen und politischen Dimensionen ist auf vielerlei Weise ein Kernaspekt und ein inneres Anliegen von Religion und sollte als solcher auch im gegenwärtigen Problemkontext diskutiert werden. Aufgrund der Vielgestaltigkeit und Relevanz in all diesen Bereichen menschlicher Wirklichkeit muss die Problematisierung von Frieden notwendigerweise aber auch im Dialog mit vielen anderen wissenschaftlichen Disziplinen stattfinden.

Basierend auf diesen Überlegungen wird die Aufgabe deutlich, über Fragen des Friedens in vielfältigen Formen nachzudenken. Eine Fokussierung auf folgende Fragestellungen erscheint den Herausgeber:innen dabei besonders lohnend:

  • Wie verhalten sich idealisierende Vorstellungen von Frieden als (religiös-heilgeschichtliche) Idealzustände sowie radikale Forderungen wie in der Bergpredigt als Utopien zur konkreten Friedenspraxis, die an Begrenzungen, Unsicherheiten und pragmatische Ansätze gebunden ist?
  • Welche Möglichkeiten der Neuartikulation des Friedensbegriffs ergeben sich in der gegenwärtigen geopolitischen Konstellation, die zusehends von der aufklärerischen Fiktion einer permanenten Fortentwicklung der internationalen Staatengemeinschaft zum Besseren abrückt und im Rahmen des Anthropozän-Diskurses gar die Vernichtung der Menschheit als zumindest denkbare Option eingesteht?
  • Welche Rolle spielen Religionen und Konfessionen in gegenwärtigen Konflikten, sowohl als Friedenstifterinnen wie auch als konfliktfördernde Beteiligte? Sind sie als Gefahrenpotential oder als Ressource für mehr Stabilität und gesellschaftliche Kohäsion zu werten?
  • Welche Notwendigkeiten ergeben sich für ein Nachdenken über Frieden und Konflikt sowie für die Friedenspraxis aus der Sicht der LGBTQIA+-Community?
  • Wie kann Friedenserziehung in unterschiedlichen Bildungskontexten gelingen?
  • Welche Formen von Macht beeinflussen Krieg und Frieden maßgebend und inwieweit bestimmen Positionen der Betrachter*innen im Rahmen epistemischer Gewalt die vermeintlich universale Analyse sowie das praktische Vorgehen?
  • Welche biblischen und theologischen Vorstellungen von Frieden können angesichts gegenwärtiger Konflikte Wirksamkeit entfalten?
  • Welche religiösen und theologischen Debatten und Narrative werden in gegenwärtigen Konflikten sichtbar? Wie lässt sich im interreligiösen Dialog theologisch das Thema gemeinsam diskutieren
  • Welche historischen Perspektiven auf Krieg und Frieden lassen sich in den Religionen finden? Wie werden historische Friedens- und Kriegszustände heute rezipiert und welche Narrative werden aus ihnen gebildet (etwa Kreuzzüge, Reconquista, islamische Expansion nach Indien, al-Andalus, Pax Mongolica…)?
  • Welche Friedenskonzepte eignen sich für plurale, religiös und kulturell heterogene Gesellschaften?
  • Welche religiösen Friedensinitiativen finden gegenwärtig statt und welche Rolle haben diese im Rahmen der internationalen Staatengemeinschaft?
  • Inwieweit sind Wirtschaft und Kapitalismus auch im 21. Jahrhundert ein relevanter Faktor für Krieg und Frieden?
  • Inwieweit sind religiöse und nationalistische Narrative auch in Zeiten der Klimakrise noch relevant für Krieg und Frieden?

Wenn Sie einen aktuellen, noch nicht publizierten, innovativen wissenschaftlichen Beitrag in deutscher oder englischer Sprache, der auch gern interdisziplinär angelegt sowie methodisch unkonventionell sein kann, zu diesem Schwerpunktthema in der Zeitschrift LIMINA – Grazer theologische Perspektiven publizieren möchten, dann senden Sie bitte das Konzept Ihres Beitrags (max. 4.000 Zeichen) an:

limina(at)uni-graz.at.

Der vollständige Beitrag sollte nicht mehr als 40.000 Zeichen umfassen. Informationen zur Zeitschrift, zum Peer-Review-Verfahren und zu den Publikationsrichtlinien finden Sie auf: http://unipub.uni-graz.at/limina.


Einsendeschluss für Beitragskonzepte: 16. 12. 2024
Entscheidung über die Annahme der Beiträgskonzepte: 19. 12. 2024
Einsendeschluss für die ausgearbeiteten Beiträge: 15. 03. 2025
Erscheinungstermin: Herbst 2025


Herausgeber dieser Ausgabe:
Christian Feichtinger und Maximilian Lakitsch

Schriftleitung:
Peter Ebenbauer